SuperGiroDolomiti – Rennbericht

Es ist kurz vor 6 Uhr früh. Nach einer kurzen Nacht stehen wir mit unseren Rennrädern abfahrbereit in Richtung Lienz, Osttirol. Den Abend davor haben wir unsere Räder vorbereitet und auf einer kleinen Radrunde die letzten Einstellung am Rad vorgenommen. Noch 5 km und 30 Minuten trennen uns vom Start des diesjährigen SuperGiroDolomiti. Ein Radmarathon über 232 km und 5234 Höhenmeter. Ich muss verrückt gewesen sein, mich hierfür anzumelden... Wenige Augenblicke später stehen André, Bernd, Micha und ich im Startblock 3. Vor uns in Block 2 die leistungsorientierten Radler und ganz vorn die Elite mit Fahrern, von denen einer unter anderem schon den 3. Gesamtrang bei der Tour de France belegt hat. Allerdings nicht ganz ohne Hilfsmittel...

3... 2... 1... Los!
Nur wenige Meter nach dem Start zieht das Tempo an. 30, 40, 45 km/h. Wie im Rausch geht es für 20 Kilometer mit dem großen Feld das Drautal entlang. Es ist fast ein wenig zu warm, haben wir uns doch für das zu erwartende Wetter mit Weste und Armlingen bestückt. Ehe man sich versieht, sind wir drin im ersten Anstieg des Tages. Die Beine fühlen sich gut an und es geht mit etwas mehr als 17 km/h den Gailbergsattel hinauf. Als ich im Anstieg entspannt neben einem Fahrer des Dresdener Elbspitzteams fahre, hätte mir klar sein müssen: Du gehst das Ding hier viel zu schnell an... Es folgt eine kurze Abfahrt durch Kötschach. Direkt danach fahren wir in den zweiten Anstieg, den Plöckenpass, hinein. Auf einer Länge von 11 Kilometern sind ca. 700 Höhenmeter zu überwinden, also nicht allzu steil. Kurz vor der Passhöhe die erste Verpflegungsstation. Für den ersten Teil bin ich mit einer Trinkflasche gestartet, hier füllte ich mir für die kommende Strecke zwei neue auf, stopfte mir einen Energieriegel hinein und da fuhren auch schon André und Bernd an mir vorbei. An der folgenden Passhöhe überquerten wir die Grenze nach Italien. Ich hielt an, zog meine Weste zu und begab mich in eine tolle Abfahrt aus 12 engen Kehren und einer langen autofreien Gerade.

Die Abfahrt vom Plöckenpass (Foto © www.quaeldich.de, TorstenJ.)
Vai, vai! Bravi!
Durch das italienische Städtchen Paluzza führte die Strecke nun gen Osten hinauf nach Ligosullo. "Vai, vai! Bravi!", riefen einem die Bewohner zu und es kam ein wenig Giro d'Italia-Atmosphäre auf. Es waren mittlerweile 70 km der Strecke absolviert und hinter uns zogen dunkle Wolken auf. Hinter uns klang eigentlich gut, den wir fuhren so dem Wetter davon. Diese Theorie hatte sich aber innerhalb kürzester Zeit als falsch erwiesen. Denn schon im folgenden Ort Paularo, wo der Anstieg in den gefürchteten Lanzenpass beginnt, kamen die ersten Regentropfen herunter. Dazu gesellte sich fernes Donnern. Es wurde dunkler und dunkler, der Anstieg immer steiler und dann begann das Unwetter. Innerhalb weniger Minuten waren wir komplett durchnässt. Da half auch meine Regenjacke nicht, welche ich mir mitten im Anstieg anzog und dabei auch noch vom Außenspiegel eines Materialwagens angefahren wurde...

Nur nicht anhalten! Treten!
Was soll man zum Lanzenpass noch sagen. Man muss ihn gefahren sein, um sich diese steile Straße vorstellen zu können. Zunächst noch moderat mit einer zwei Kilometer langen Zwischenabfahrt versehen, überwindet man in den folgenden 6 Kilometern 600 Höhenmeter mit Steigungen von über 18 %! Mehrere Fahrer kapitulierten hier und schoben bergan, was allerdings auch nicht viel leichter aussah als fahrend. Bernd kam von hinten heran und schob sich langsam an mir vorbei. Ich behielt ihn im Auge, konnte das Tempo aber nicht mitgehen. Wobei das Tempo sich hier öfter unterhalb der 5 km/h Marke einpendelte. Ich musste ständig an den Mortirolo bei der Transalp denken und kämpfte mich meterweise nach oben. Nur nicht anhalten. Treten! Noch 3 km. Schlangenlinien. Um die Kurve. Noch 2 km. Die Beine brennen. Wo ist das Ende? Noch 1 km. Endspurt. Passhöhe! Geschafft!

Bei böigem Wind und Dauerregen versuchten die Helfer verzweifelt ein schützendes Zelt über der Verpflegungsstation zu errichten. Ich stopfte mir eine weitere Banane hinein, holte aus den Tiefen meines Trikots alles an wärmender Kleidung heraus und startete die Abfahrt. Micha und André waren kurz nach mir oben und folgten direkt. Die Abfahrt war eher unangenehm. Enge Kurven, nasse Straßen, Schlaglöcher und viele Querrinnen ließen keine Erholung zu.

Das Nassfeld. Der Name sagt alles.
In Pontebba, einem weiteren italienischen Städtchen, beginnt auch schon der nächste Anstieg zum Nassfeld. Wie passend. Weitere 1000 Höhenmeter verteilen sich hier auf 14 Kilometer. Nasse Kilometer. Kalte Kilometer. In einem Tunnel halten wir kurz an. Durchatmen, Powergel hinein, weiterfahren. Bernd war auf und davon, André in Sichtweite einige hundert Meter voraus. Gemeinsam mit Micha kämpfe ich mich den Anstieg hoch, vorbei an fluchenden ("Warum mach ich das hier?!") oder aufmunternden ("Bei schönem Wetter kann jeder fahren...") Rennradlern. Die Gedanken an eine warme Dusche und ein Ende der Tortur wurden stärker. An der Passhöhe erwähnten Helfer irgendetwas von einer Sammelstelle für unterkühlte und erschöpfte Radler im Talort Tröpolach. Ich war drauf und dran direkt diese Stelle anzufahren. An der Verpflegungsstelle lag ein leckeres Wurstbrot bereit. Mein Kopf sagte "Iss mich!", aber mein Magen sagte was ganz anderes... Ich bekam es kaum hinunter, so sehr war man an der Leistungsgrenze.

Die nächste Abfahrt. Immer noch regnete es Bindfäden. Meine hinteren Bremsbeläge wurden immer schmaler. Kalt und frierend ging es bergab. Ich folgte einem Radler mit gelber Jacke, war irgendwann an ihm dran und zog im folgenden Flachstück an ihm vorbei. Um einigermaßen wieder auf Temperaturen zu kommen, drückte ich aufs Tempo. Mit über 30 km/h ging es das Gailtal entlang. Micha war irgendwo hinter mir. Nach einigen Kilometern allein in der Führung zog die gelbe Jacke aus dem Windschatten vorbei, allerdings ohne das Tempo so anzupassen, dass man dran bleiben konnte. Alleine im Wind, na vielen Dank...

Abbruch und auf eigene Faust ins Ziel
Plötzlich war Micha wieder da. In einer unglaublichen Aufholjagd hatte er sich wieder an mich herangekämpft. Noch dazu tauchten am Horizont Bernd und André auf. Micha hatte einen Energieschub und fuhr das Loch zu, so dass wir im folgenden Ort Kötschach wieder alle vereint waren. Für mich war klar: Den nächsten Pass spare ich mir. Ich hatte die Wahl zwischen weiteren 60 Kilometern mit 1200 Höhenmetern oder 30 Kilometern mit 300 Höhenmetern. Die Entscheidung fiel leicht! Wir verabschiedeten uns von André und Bernd und fuhren wieder über den Gailberg zurück ins Drautal und dort immer dem rettenden Ziel entgegen. Da wir die offizielle Strecke damit verlassen hatten, war klar dass wir heute nicht in die Wertung kommen würden. Daher sparten wir uns auch die Fahrt über den Zielstrich, da sonst der Transponder die Zeit verfälscht hätte. So kamen wir nach ca. 10:30 Stunden und 200 Kilometern völlig erschöpft im Ziel an.

Es ging direkt an die Pastatheke. Unglaublich, wie gut das tat. Wir gönnten uns zur Feier des Tages ein Radler und dachten dabei an unsere zwei Teamkollegen, die jetzt immer noch irgendwo im Anstieg sein müssten. Unser Plan war, mit dem Rad direkt zur Unterkunft zu fahren, die ersehnte heiße Dusche zu nehmen und dann unsere zwei Finisher mit dem Auto im Ziel abzuholen. Ich glaube, sie waren recht dankbar :-)

In den nächsten Stunden nach diesem Event konnte sich keiner von uns vorstellen, jemals wieder bei so einem Mistwetter einen Alpenmarathon zu fahren. Noch dazu keinen von diesem Kaliber. Denn von den Fakten her steht der SuperGiroDolomiti dem viel bekannteren Ötztaler Marathon in nichts nach. Es gab sogar Stimmen, er sei noch um Einiges härter...

Am Abend und auf der Rückfahrt konnten wir unsere Erlebnisse austauschen. Und davon gab es eine ganze Menge. Und wie sagt man so schön: Nach dem Marathon ist vor dem Marathon...

Fazit: 206,74 Kilometer mit An- und Abfahrt, 21,08 km/h Schnitt, 82,81 km/h Max, Höhenmeter: ca. 4500. Gefühlt waren es mehr...

Kurzer Bergtest am Vorabend

Letzte Trainingsrunde mit Blick auf Lienz. Wetterwechsel im Anmarsch...

Vorbereitung
Alles bereit für den Start

Morgens kurz vor 6 Uhr im Startblock. Langsam füllt es sich.

Entspannte (oder gespannte) Gesichter vor dem Start.

Erschöpft. Aber glücklich.
Das begehrte Trikot. Verdient trotz Abkürzung. Immerhin eigenständig angekommen :-)

Im Anstieg zum Lanzenpass.
 




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