Alpenbrevet 2017



Prolog

Heute lief alles wie geplant: mein Ziel von U10 Stunden erfüllt, die Pausen an den Verpflegungsstationen auf ein Minimum beschränkt, immer auf den Puls geachtet, die flüssige Kohlenhydratmischung perfekt portioniert und mitgeschleppt (für 7 Flaschen geplant und 5 benötigt), von der ausgearbeiteten Pacing-Strategie nie um mehr als 10-15 Minuten abgewichen sowie am Ende alles gegeben in der Abfahrt vom Susten!

Die Vorbereitung

In der langen Vorbereitungszeit vor dem Alpenbrevet habe ich mich intensiv mit meinen bisherigen Leistungen bei Alpenmarathons beschäftigt. Bei eigentlich jedem Rennen hatte ich mindestens einen Tiefpunkt, durch den ich mich durchkämpfen musste ­­­– was meistens mit langen Pausen einher ging. Schnell war klar, dass dies hauptsächlich an falscher Ernährung bzw. ungenügendem Energienachschub lag. So stieg mein Interesse, als ich im letzten Jahr durch meinen Teamkapitän Robert Petzold auf eine Mischung aus Maltodextrin, Fructose, Salz und Wasser aufmerksam wurde und damit eine geeignete Nahrung für mich fand, die ich kontinuierlich über das Trinken zu mir nehmen konnte.

Mit dem im letzten Jahr hinzugekommenen Wissen über meine Herzfrequenzbereiche erarbeitete ich mir nun eine ambitionierte, aber dennoch realistische Zeiteinteilung. Schon nach relativ kurzer Zeit war klar, dass eine Fahrzeit von unter 10 Stunden mein Ziel werden sollte.

Es ergab sich folgender detaillierter Zeitplan:
Start Meiringen 06:45
Grimselpass 09:05
Ulrichen 09:30
Nufenenpass 11:10
Airolo 11:40
Gotthardpass 13:10
Andermatt 13:30
Wassen 13:55
Sustenpass 16:10
Meiringen 17:00

Die gesamte Strecke hatte ich als Aufkleber mit Höhenprofil und den Abschnittszeiten auf dem Oberrohr permanent im Blick und konnte somit zu jedem Zeitpunkt des Rennens überprüfen, ob ich noch ungefähr im Plan lag. Aus den letzten Jahren wusste ich, dass ich immens viel Zeit in den Verpflegungszonen verbracht hatte. Hier konnte also am ehesten Zeit eingespart werden.

Am Tag vor dem Rennen ­­­– wir waren mittlerweile zu viert in der Nähe von Meiringen angekommen ­­­– bereitete ich mir meine Pulvermischung für die Ernährung vor, exakt mit Digitalwaage!

Mit der Digitalwaage präparierte Nahrung für den Renntag.

Wie ein kolumbianischer Drogenkurier :-)

400 Gramm Pulver, verpackt in 5 Beutel, neben den üblichen Utensilien im Trikot unterzubringen, war nicht ganz einfach. Zum Glück spielte das Wetter mit und ich konnte somit auf das Mitführen von Regenkleidung verzichten.

Das Rennen

Sehr früh am Morgen des Renntages reisten wir nach Meiringen an, packten die Räder aus dem Auto und fuhren mit einem guten Zeitpolster von ca. 30 Minuten zum Startbereich. Wir sortierten uns beim Schild "18 km/h" (geplante Durchschnittsgeschwindigkeit über die Renndistanz) ein. Die Zeit verging wie im Flug und pünktlich um 6:45 Uhr erfolgte der Startschuss.

Vorfreude am Start.

Im großen Pulk von 2500 Startern nicht schon am ersten Pass vom Rennfieber gepackt zu werden, ist eine Kunst, die ich mir auch erst mit den Jahren aneignen musste. Man fühlt sich frisch und ist voller Tatendrang. Aber einmal überzogen, rächt sich dies im weiteren Rennverlauf unweigerlich. So blieb ich mit meinem Puls immer unterhalb meiner anaeroben Schwelle ­­­– und war damit lediglich knappe 2 Minuten langsamer als bei meiner Teilnahme 2015 auf gleicher Strecke. Lustig am mittlerweile in der digitalen Welt präsenten Radsport ist es ja, wenn man unterwegs auf Mitfahrer trifft, die man zwar "im Netz kennt", aber in der Realität noch nie getroffen hat. So sprach mich am Grimselpass Martin aus Thüringen an, der auf der Suche nach dem Alpenbrevet auf meinen Blog aufmerksam wurde. Schön, wenn man Leser hat :-) Viele Grüße an dieser Stelle!

Das Petz Racing Team war neben mir auf der Goldstrecke noch mit Angela auf der Silberstrecke sowie Arno und Mario auf der Platinstrecke vertreten. Die beiden letztgenannten waren aber bereits kurz nach dem Start soweit enteilt, dass ich sie im gesamten Rennen nicht mehr sah :-) Angela allerdings traf ich ebenfalls am Grimselpass. Gemeinsam fuhren wir ein kleines Stück den Pass entlang und trafen uns erst im Ziel wieder.

Am Stausee des Grimselpasses. Erholsames Flachstück!

Für den Grimselpass hatte ich mit zwei Trinkflaschen kalkuliert, aber lediglich etwas mehr als eine benötigt. Geplant war an der Passhöhe nur ein minimaler Stopp zum Wasser auffüllen und Pulver nachschütten. Das funktionierte perfekt und nach weniger als 5 Minuten befand ich mich auch schon wieder in der Abfahrt nach Gletsch. Meine Mitfahrer André, Micha und Bernd waren zwar schon ein kleines Stückchen voraus, ich holte sie aber gegen Ende des steileren Teils wieder ein.

Links in Ulrichen abgebogen, ging es auch schon in den Nufenenpass. Mit diesem hatte ich noch eine Rechnung offen, denn genau hier widerfuhr mir 2015 einer jenen Einbrüche, die ich eingangs bereits erwähnte.

Mit Micha am Nufenenpass.
Mehr als zehn Minuten war ich dieses Mal eher an der Passhöhe, ein gutes Gefühl! Und im oberen mit Serpentinen bestückten Steilstück hatte ich mit Ricarda aus Erfurt, die mich auf mein Teamoutfit ansprach, noch eine kurzweilige Begleitung. Und da nach einer weiteren ca. 30 Minuten langen Abfahrt in Airolo schon die dritte Verpflegungsstation wartete, ließ ich die Verpflegung am Nufenenpass wie geplant aus und ging gleich in die Abfahrt. Hier wurde ich leider etwas durch vorausfahrende Autos gebremst, aber Sicherheit geht vor...

Knapp 5 Stunden war ich unterwegs, als ich in Airolo meine nächsten beiden Flaschen mit Pulver füllte und mich gedanklich schon auf den sehr schönen Gotthardpass vorbereitete. Wahnsinn, ganze 75 Minuten schneller als 2015, so konnte es weitergehen! Bernd signalisierte uns derweil, dass wir unser Tempo weiterfahren sollten und er nachkommen würde. Und André und Micha schienen genau das in die Tat umzusetzen... Sie schlugen ein ziemlich hohes Tempo an, welches ich in der Mittagshitze von über 30 Grad nicht mitgehen wollte (und auch nicht konnte...).

Kopfsteinpflaster am Gotthardpass. Jede noch so schmale Betonfläche wird hier befahren :-)

Wie in Trance kurbelte ich stoisch mein Tempo weiter, über sich gegenseitig übertrumpfende, mit Kopfsteinpflaster garnierte Serpentinen bis hoch hinauf auf die Passhöhe in 2106 Metern über NHN. Fast zehn Minuten verlor ich hier auf die beiden, das war so natürlich nicht geplant ;-)

Am Gotthardpass. Kurzes Lächeln für das Foto...

Kurz die Weste angezogen, in den Abfahrtsmodus umgeschaltet und schon ging es hinab nach Andermatt. Diese Abfahrt rollt perfekt. Weit einsehbare Kurven, nicht zu eng, dazu breite und gut ausgebaute Straßen ­­­– all das brachte mich schnell der nächsten Kontrollzone näher. Hier traf ich dann auch meine beiden Mitfahrer wieder.
Eine Besonderheit des Alpenbrevets ist der zeitneutralisierte Abschnitt von Andermatt hinab bis zum Eingang des letzten Passes. Durch eine enge, stark befahrene und dementsprechend stauanfällige Baustelle führend, soll hier kein Teilnehmer dazu animiert werden, unnötiges Risiko einzugehen. Mit dem Wissen, auf die Nettozeit hier also nichts verlieren zu können, fuhren wir nun entspannt zu dritt bis hinab nach Wassen, erfrischten uns an einem kleinen Brunnen ein letztes Mal und starteten dann in den finalen Abschnitt des Tages: den Sustenpass!

Wir befuhren die ersten steilen Serpentinen als ich mich plötzlich an erster Stelle von uns dreien wiederfand und dabei bemerkte, dass ich mich für den schon recht weit fortgeschrittenen Rennverlauf noch sehr gut fühlte. Verwundert über diesen ungewöhnlichen Zustand fuhr ich konstant mein Tempo weiter und war dabei umso erstaunter, dass ich zwischenzeitlich fast 4 Minuten herausfahren konnte. Kurz vor dem Erreichen der scharfen Linkskurve, welche die finale Steigung einläutet, tauchte dann allerdings hinter mir Micha mit der Bemerkung "Das war etwas zu viel an Vorsprung!" wieder auf – ein Kämpfer vor dem Herren :-) André war ebenfalls wieder aufgefahren und zog in dem Moment, wo Micha und ich noch kurz unsere Flaschen mit Wasser auffüllten, an uns vorbei und wurde dann wiederum in den nächsten Serpentinen von uns beiden wieder eingefangen und überholt. Es entbrannte ein Rennen im Rennen, Micha legte ein starkes Tempo vor. Kurz vor der Passhöhe musste ich reißen lassen und reduzierte wieder auf mein ursprüngliches Tempo. Eine etwas sinnlose Aktion, so ein kleines Duell. Aber Spaß machte es dennoch!

An der Passhöhe angekommen war ich richtig erschöpft, gleichermaßen aber auch zufrieden mit meiner Leistung und dem Gefühl, alles gegeben zu haben, was möglich war. Und die letzte Abfahrt des Tages stand ja noch bevor :-)

Sustenpass, die Abfahrt. Anbremsen, rein in die Kurve, raus aus dem Sattel!

Genau jene Abfahrt hatte ich in meinem letzten Bericht zum Alpenbrevet als die schönste Abfahrt bisher bezeichnet. Und genau das würde ich auch dieses Jahr wieder bestätigen. Bis auf eine kurze Baustelle mit Ampelregelung, bei der ich einen lustigen und gleichermaßen verrückten Engländer kennenlernte, der mal eben von London aus mit dem Rad zur Veranstaltung angereist ist, fuhr sich diese Abfahrt nämlich genauso schön wie vor zwei Jahren. Mit dem Ziel U10 vor Augen holte ich die letzten Energiereserven aus mir heraus und konnte mich hierbei um ganze sechs Minuten bis hinab ins Ziel verbessern. Was sicher auch daran lag, dass ich den letzten kleinen Gegenanstieg komplett durchzog und die folgende, kleine Abfahrt ins Ziel mit über 51 km/h im Schnitt absolvierte...

Ziemlich außer Atem erreichte ich nach einer Fahrzeit von 9:40 Stunden als erster unseres Viererteams das Ziel in Meiringen, nur wenige Augenblicke nach dem Sieger der längeren Platinrunde. Unglaublich!

André und Micha erreichen das Ziel.

Mit dem diesjährigen Alpenbrevet habe ich mir persönlich den Traum erfüllt, ein Rennen ambitioniert, von Anfang bis Ende geplant und mit vollem Einsatz durchzuziehen. Ein tolles Gefühl, wenn alle Puzzleteile sich am Ende zu einem Ganzen zusammenfügen und man dabei sogar noch unter der errechneten Zeit geblieben ist!

Nun werde ich es für den restlichen Teil der Saison, die sich mit Beginn des Herbstes unweigerlich dem Ende entgegen neigt, ruhiger angehen lassen. Also Schluss mit Trainingsplan und Ernährungsoptimierung. Bis dann im Winter neue Pläne geschmiedet werden :-)

Kommentare

  1. Martin aus Thüringen23. Januar 2018 um 11:03

    Hallo Finn,

    sehr schöner Bericht! Es war ein großartiges Erlebnis und ich wurde nach dem Lesen deines Blogs von 2015 nicht enttäuscht :).
    Ich habe zusammen mit meiner Frau Jana teilgenommen und der Plan war, dass ich Sie unterstütze. So bin ich immer vorgefahren und habe schon Gels und Getränke eingesammelt, sodass sie nur wenig Zeitverlust an den Verpflegungsstellen hatte. Obwohl ich an jedem der ersten drei Pässe nur 2-3 Minuten schneller als sie war, rächte sich das am Susten: Dort wollten wir eigentlich gemeinsam hochfahren, aber nach etwa der Hälfte des Anstiegs musste ich sie ziehen lassen. Obwohl ich nicht angehalten habe hat sie bis zum Ziel ca. 10 Minuten Vorsprung gehabt und blieb damit unter 9 Stunden.
    Was die Ernährung angeht, haben wir klassisch auf Isodrinks, Gels und ein paar Riegel gesetzt - aber letztlich ist das wohl Geschmackssache - vor allem muss man ja bis zum Ende noch in der Lage sein, das Zeug herunterzuwürgen :)

    Vielleicht sehen wir uns ja dieses Jahr wieder? Wir werfen ein Los in den Ötztaler-Topf, aber wenn das nicht klappt steht auf jeden Fall wieder das AB auf dem Programm :)
    Ich wünsche dir eine gute Saison!
    Martin

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  2. Hallo Martin,

    vielen Dank, ich habe das Alpenbrevet auch noch in guter Erinnerung. Die Benachrichtigung auf Grund Deines Kommentars habe ich gleich mal zum Anlass genommen, wieder etwas am Blog zu basteln...
    Sehr beeindruckend, wie Du immer wieder voraus gefahren bist. Am Gotthard hatten wir uns ja noch kurz gesehen, aber da konnte ich dann nicht mehr dran bleiben! Der Susten ist wirklich etwas für Liebhaber :-) Liegt aber wohl auch daran, dass er für alle am Ende der jeweiligen Runde liegt und ziemlich schattenfrei zu absolvieren ist.
    Genau das Gewürge mit den Riegeln hat mich zum Umstieg auf die erwähnte Flüssignahrung bewegt. Bisher fahre ich gut damit...
    Wäre schön, wenn wir uns treffen. Ötztaler versuchen wir wohl wieder, aber ich denke, das Alpenbrevet fahre ich dieses Jahr nicht. Die Anfahrt ist immer unglaublich weit...
    Dir auch einen guten Saisonstart, man sieht sich bei Strava ;-)
    Finn

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